Das nahferne Echo des Dinosaurier-Blökens, Teil 2
Der Rockismus hat Spielarten hervorgebracht, deren Anwender die grimmige Gewissheit pflegen, sie stünden zum Vaterstil in Opposition. Am schärfsten zugespitzt ist dieser Glaube im Hardcore. Hier werden die vergorenen Essenzen des Rockismus nicht mehr in gewohnter Süßlichkeit verbacken. Das Gitarren-Geschmirgel, rhythmisch hart verdichtet, lädt den Lauschenden kaum mehr dazu ein, verzückten Angesichts das Becken zu schwingen; der Saiten-Masturbator löst sich auf im Ensemble, Songwriting in Harmonien-Puzzeleien und das, was man Gesang nannte, in Gebelle. Anti-Rock’n’Roll, so weit eingedampft, dass das verachtete Rock-Schema gerade eben noch fortwirkt: Das ist sie, die gallige Essenz des Hardcore. Punk oder, noch widerwärtiger, „Punk’n’Roll“ ist hiergegen windelzarter Skatrunden-Walzer für das Persönlichkeits-Segment des „lockeren Jeans-Typen“.
Doch vermag, wer die Docks der Aufgehobenheit mit verkniffener Stirnhaut dem Erdboden gleichmacht, darüber das besondere Eigene zu errichten?
Trennen und leimen
Wie gründlich auch einstmals die Rock-Reform des Grunge die Hörkanäle geweitet haben mag: Der Normalverteilungsbürger fährt unbeirrt fort, sich dem Radio-Gesäusel auszuliefern. Die Verhärtung, die Hardcore der Seele aufpresst, separiert den Initiierten von der Äther-Herde. Zwar bringt solche künstlich potenzierte Trennung nichts anderes als die Entfremdung zum Ausdruck, die der noch nicht bis zum Stupor Betäubte im bürgerlichen Jetzt-Zustand andauernd erfährt. Doch wo das Bindemittel fehlt, zerfließt einem die Soße; ein Dagegen ohne Anwandlung von Solidarität geht leicht auf in rechtsgepoltem Quasi-Nietzscheanismus. Die Stil-Zone Hardcore bleibt hierfür hochempfänglich.
Nicht umsonst prägt moderne Jugendbündelei die Begegnungsstätten der Hardcore-Freunde. Jene Trennung, die das unwirtliche Klanggebräu zeitigt, ist wie kaum etwas anderes geeignet, vis-à-vis der Elternwelt Differenz zu reklamieren; gleichzeitig verlangt der Frost, der darin mitschwingt, nach Akten zärtlicher Kompensation.
Im binnenszenischen Miteinander trägt solcher Sehnsucht das Konzertgeschehen Rechnung. Versetzt es die Männerseelen genügend in Wallung, strömen die Cliquen der Event-Teilnehmer rauschhaft an der Bühnenkante zusammen und stapeln und verschlingen sich zu Herren-Trauben. Derart tritt man mit dem unbekannten Nächsten in allerengste Bereibung ein; welch ausgefeilte Freestyle-Choreographien da vor extraharscher Soundwand zur Anwendung kommen! Der Drang, nach solch verhuschter Betastung vollständig miteinander zu verschmelzen, konzentriert sich schließlich gestisch in der Praxis des Stagedive. Eine Freude, zu bezeugen, wie die Pose desjenigen, der seine ihm selbst nicht erklärliche Bedrängung machistisch in die Welt hinausschreit, in der uneingestandenen Homoerotik der Körperzusammenballungen zerfließt.
Einhundertundeine Klon-Ideen blühen
Trotz Überörtlichkeit dieser Praktiken erwächst daraus noch nicht so etwas wie eine Szene; höchstens eine Art amorphe Szenerie. Die Täuschung, einer eigenen Kulturform zu pflegen, fußt auf ein paar Clustern schwächstcodierter Mätzchen und enthusiastisch betriebenem Textildruck. An Haltungen herrscht trotzdem keinerlei Mangel. Es flackert aus der Mitte dieser Szenen-Nachbildung die gesamte Nebelwelt der Irrtümer auf, welche die Zivilisation derzeit bereithält. Hier grassiert es, das Selbstbehauptungs-Knurren der Agnostic Front, Biohazard und Sick Of It All; mit solchem vitalistischen Droh-Gedröhne versetzen sich Exekutions-Funktionäre, die in US-Uniform den Planeten heimsuchen, vor Feindberührung nicht selten in den Mordrausch.
Andernorts, in trostlosen Vorstadt-Planquadraten, quillt wortwolkig existenzialistische Lyrik aus den Schallrillen von Emotive-Hardcore-Tonträgern; mancher desperate Gymnasiast kokoniert sich mit Hilfe dieses letzten Stücks Faden, das ihn an unsere Un-Welt noch bindet. In anderen Winkeln wirken anarchistische, Gay-Rights-bewegte Straight-Edge-Veganer, die Kants kategorischen Imperativ in ungeahnter Buntheit von links her neu züchten. Zwischendrin immerhin waltet ab und an Weisheit: Da gehen Ideologie-Radiologen wie das Schweden-Quintett Refused auf Streife und röntgen bis auf den letzten Haarriss das Bröckelfundament des windschiefen Weltbaus.
Hemmt oder fördert das Ideen-Gewucher die Anbahnung des nötigen Anderen von morgen? Dies lässt sich schwer entscheiden. Der eine hätte außerhalb dieses Reservats randständiger Weltanschauungs-Reproduktion von Umsturzhaftem nie je ein Sterbenswort vernommen; dem anderen ermöglicht das Szenen-Gewese, per kleinliche Händel sein Leben zu fristen – gleichend dem braven Familienvater, der im Arbeiterschließfach von gegenüber Abend für Abend sein Privathobby pflegt.
Dingfest machen lässt sich das Andere, indem sich der Schielblick an sein Gegenteil heftet. Ersatzreligion für die erschöpften Zwischenschichten ist heute ein bedarfsgerechter Jedermann-Buddhismus, gestreckt mit dem Chill-Balsam des Indie-Rock; darauf untersucht, ob er geeignet ist, dem Hörer halbwegs das Hirn zu spornen, erweist sich dieser als Echtzwilling des prahlerisch tönenden Alt-Rockismus. Gleich seiner geschichtlichen Urgestalt bildet der hipper frisierte Abguss nichts als das Spektakel in Reinform ab. Er reduziert das Schöpfertum der Zuhörermenge bis an den Rand der Bewusstlosigkeit; im Nahumkreis der jeweiligen Rockformation gerinnt, was an Beteiligung überhaupt vorkommt, zu der dürren Funktionsform des Geschäftsgebarens.
Und im Hardcore, sprießt da die Selbsttätigkeit? Auch hier lähmt Stellvertretertum die Wirkkraft. Wenige musizieren, die Meute lauscht und staunt; ein paar mehr erdenken, kreieren, wirbeln eifrig, der Rest zückt die Börse, erwirbt und – übersieht. Je dumpfer die Subszene, desto tiefer das Koma.
Bizeps- vs. Post-
Wir ersehnten den Abzweig vom begradigten Flussbett, wir wurden hineingespült ins Prä-Ludentum der Muckibuden und Drachen-Tattoos; die Wiedervereinigung mit dem Hauptstrom brachte in Gestalt des Muskelmann-Gerumpels einen ultrarockistischen Golem hervor. Wer das schlecht ertrug, setzte sich ab. Aus dem stickigen Dunst des Großlabel-Machocore mitsamt seinen brachialen Klangklischees desertierten die Gewitzten bereits Ende der Achtziger. Fugazi und andere Dissidenten, den Würgereiz unverzagt urbar machend, flohen ins Versuchslabor des Nicht-mehr-bloß-Hardcore. Sie versetzten die dichten Energie-Eruptionen, wie sie ihrem Herkunftssound ureigen sind, mit Saiten-Tüfteleien und Geistesblitzen. Dabei bildeten sie manchen Zug des Indie-Populärrocks in vorsichtig gebrochenen Ziermustern nach. Arabesken wurden de- und rekonstruiert, liebklangliches Beiwerk kam neuerlich zu Ehren; längst nicht mehr Desertion in Permanenz, hat man es geschafft, in Stilen zu erstarren wie sonstige Ableger der Sumpfblume Punk. Doch wenn irgendwo, so restkeimen hier Subversions-Intelligenz und Nicht-Identität.
Verlegt wird solcher Großhirn-Restcore von globusweit verrohrten Kleinstlabel-Machern. Das freundliche Pumpgeräusch, das diese Raffinerie erzeugt, beschämt ausgiebig das Stellvertretertum und entlarvt alles leere Showbiz-Gefuchtel. Im kräftigen Gedeihen des Split-Release, des Tonträgers, der statt dem einen Einzelkünstler mindestens deren zwei präsentiert, drücken sich Geneigtheit zur Kooperation und die Abkehr von egozentrischer Selbstvergötzung aus. Respekt gebührt all diesen flohmarkthaft Rührigen; für alles, was am Genre verbreitenswert ist, treiben sie unter höchstem Kraftaufwand Kanäle in den zähen Lehm der Alltagskultur.
Doch ach, der Grobsog des falschen Ganzen zerrt an dieser Riege der Gegen-Geschäftsleute nicht anders als an jedem Kleingewerbetreibenden. Gnadenlos bläst der Konjunktur-Monsun, Ressourcenknappheit nötigt zur Handwerkelei; so droht selbst der strengste DIY-Apostel ins liberal gesinnte Schaffensmenschtum abzugleiten. Wuchtig-schiefe Akkordgewitter, anderthalb Quadratmeter Hautbestechungs-Landscapes, sonstige hohle Szene-Artefakte, die binnen Quartalsfrist umcodiert sind: All dies ändert nicht das Geringste daran, dass Bilanzen ihren Weg in die Mitte pflastern. Dischord Records ist eine Mittelstands-Klitsche von der politischen Zahnlosigkeit eines Gregor Gysi.
(Vielleicht demnächst im Soulcore-Laboratorium: was zu Soul und Hip-Hop. Dranbleiben!)
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