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Dienstag, Juli 28, 2009

Teer


Wieder auf der Straße angekommen überprüfe ich meine Finanzen und entscheide mich dazu vorerst vor einem double-screen Panorama Roulette Automaten Platz zu nehmen. Ich setze einige Kombinationen, drücke rhythmisch den Auslöser und nehme die Münzen in Empfang.

Angenehm ruhig ist es hier, keine störenden Gäste, nur ich und der glücklicherweise nicht gesprächige Barkeeper. Whisky-sour, danke. Ich beginne aus dem Fenster zu starren. Abgebrochenes Studium, dann endlich die Entgiftung. Lebensbewältigungsratgeber. Fallmanager, Eltern, die sich ihre Enttäuschung partout nicht anmerken lassen wollen. Der aussichtslose Kampf gegen alles und jeden. Menschliches Leben beginnt mit einem (Auf)Begehren und mündet später in einem immer entwürdigenderen Assimilationsprozess.

Vor meinem inneren Auge lasse ich die Alkoholekszesse mit meinen damaligen Weggefährt/innen revué passieren. Eigentlich hatte ich damit schon vor langer Zeit abgeschlossen, doch heute Abend verdichten sich die Filmrisse der letzten fünfzehn Jahre zu einem schweren Klumpen aus Scham, Angst und Panik. Die soeben noch relativ anheimelnde Umgebung verwandelt sich zur Gummizelle mit Klarsichtwand für die Passanten. Auf einem LKW montiert fährt man mich auf die Schulhöfe der Republik und erklärt den Zöglingen meinen Fall anhand von Diavorträgen.

Explusionsartig rinnt mir kalter Schweiß aus allen Poren, ich traue mich nicht mehr mich zu bewegen, wie angewurzelt sitze ich auf dem Barhocker, umschließe Mein Glas mit beiden Händen und warte darauf das dieser Anfall vorübergeht. Muss eine Zigarette rauchen, doch die Angst beim wickeln die Utensilien nicht koordiniert zu bekommen ist zu stark. Scheisse, scheisse, scheisse. Habe ich eigentlich überhaupt noch genug Geld in der Tasche um meine euphorischen Bestellungen zu zahlen? Ich muss hier raus! Nein, geht nicht, kann nicht aufstehen. Erstmal etwas neues bestellen, nicht zulange ins leere Glas starren, wirkt komisch, der Wirt schaut schon rüber.

Um nicht sprechen zu müssen gestikuliere ich mir noch einmal den selben Drink herbei. Bin stolz, und ein wenig entspannter, dabei nicht gescheitert zu sein. Das Getränk steht vor mir, und ich weiss, ich sollte es nich mehr trinken. Doch ab nun begebe ich mich lieber unter die Befehlsgewalt von General Schnaps. Er wird mein Steuermann sein, mich sicher in einen Hafen führen, oder mir zumindest zusehends das Denken austreiben.

Anstelle eines sanften Hinabgleitens in eine entspannte ethanolwelt setzt der Kapitän zur Kehrtwende an, und steuert mich geradewegs auf das Korallenriff des Unterbewußtseins. Mir rutscht das beschlagene Glas aus der Hand, das grelle Klirren zerreisst die teilnahmslose Stille auf die man sich geeinigt hatte. Der Barmann springt mit einem Satz auf, stellt sich vor mich schnappt nach meinem Deckel und meint ich hätte genug. Habe ich auch. Beim Versuch aus der Bar zu rennen schlage ich mir meine rechte Augenbraue am Türrahmen auf, komme ins straucheln schaffe es doch zu fliehen bevor der Glasschubser um den Tresen herumgerannt ist.

Meine Lunge brennt, das Gesicht ist voller Blut, völlig außer Atem stoppe ich in einem Park und wasche mir mein Gesicht an einem Brunnen, schmeiße die Trainingsjacke ins Gebüsch und drücke mit einem Fetzen Toilettenpapier auf die Wunde bis die Blutung langsamer wird. Ich möchte jetzt niemandem begegnen, doch keinesfalls den Abend verloren geben. Mein souveräner Abgang hat in mir die Lust geweckt weiterzumachen. Nach mehrstündigem Umherirren in der Innenstadt, stets auf der Hut vor bekannten Gesichtern, schaffe ich es irgendwie, obwohl ich nur noch denken und nicht mehr sprechen kann in den lichtblitzdurchzuckten Mutterleib. Meine Paranoia schlägt sofort mit dem betreten dieses Raumes in ein Stockholmsyndrom um. Auch wenn ich euch auf den Tod nicht ausstehen kann werden wir jetzt hier alle miteinander eine riesige Party Feiern.

Schwarz angezogene Männer beginnen mich zur Tür zu zerren, den Grund kenne ich nicht. Jetzt blute ich auch aus der Nase, schlage brutal mit dem Gesicht auf den Asphalt nur um mich Sekundenbruchteile später bis zum Hals eingegraben auf einem Parkplatz wieder zu finden. Alle sind sie da. Jeder den ich jemals kannte, mochte oder hasste, sogar die Familie gibt sich die Ehre. Der erste Kieselstein trifft mich an die Stirn. Da mein Sprachzentrum immer noch in Ethanol eingelegt ist verwerfe ich die Idee einer Diskussion und wünsche mir eine Zigarette. Zögerlich prasseln weitere Klumpen auf meinen ohnehin schon deformiertes Gesicht ein, instinktiv versuche ich das Kinn auf die Brust zu legen und die eingegrabenen Arme hochzureißen. Es kracht dumpf auf meinem Hinterkopf und die Brühe aus der ich bestand läuft in einem klumpigen hellrosa Rinnsal über den von der Sonne weich gewordenen Teer.

7 Kommentare:

es präsentiert sich karlsbad hat gesagt…

das ist mein polnischer grasoska auf dem foto da oben. der wird bitte in anwesenheit meiner benommenheit weiter konsumiert wenn er sich nicht schon in anderwer weise völlig verflüchtigt hat.

präso a karlobado hat gesagt…

ok der text ist großartig. wirklich.ab "Um nicht sprechen zu müssen gestikuliere ich mir noch einmal den selben Drink herbei"(der satz übrigends ein absolutes meisterstück)", wird der text richtig gut. in mir krampft es ein wenig zusammen wenn ich den text lese aber ich schätze das ist gut da es eine vom fachman für den kenner-nummer ist. der text löst so eine art angst und euphorie nach mehr aus.

karlsbad steht in flammen hat gesagt…

ach ja, hübscher titel

victor electric hat gesagt…

die uhrzeit des kommentars spricht nicht dafür das du gestern direkt nach hause gegangen bist. danke für das viele lob.

Anonym hat gesagt…

das ist super. und nicht nur der text, sondern auch der durch web2.0 ermoeglichte ueberwachungssinn anderer mitmenschen!

FalafelYouth6231 hat gesagt…

Es gibt nichts Gutes, selbst wenn man es tun will. Das Durchschnitts-Großhirn ist eine ausgenagte Rinde. Die neuronalen Wucherwölbungen des kognitives Gesamtapparats gleichen der Doppelplauze eines 95-jährigen Ex-Nazischergen. Es scheitert jederlei Ansinnen des „Chillens“ und „Feierns“, ha ha ... Kurzum: Das Grauen, das auf dem Acker des sogenannten „sozialen Um-Felds“ sprießt, lässt sich nur unter schwersten Mühen zu einem schmackhaften Fladen verbacken. Wie uns vorliegender Blogismus lehrt, liebe MitprimatInnen.
Des Weiteren erkenne ich in der Story mindestens vier brillante Formulierungsstränge. Das ist viel für die westliche Welt.

Anonym hat gesagt…

@victor electric:
das habe ich selten, doch beim lesen deiner texte fange ich an neben mir zu stehen und alles "von oben" zu sehen...es hat etwas unaufhörlich befreiendes, mit worten berührt zu werden...für den moment. was macht das mit dir?
vielleicht finde ich ja manche antworten, wenn ich mal wieder beim "doctor" zu tief ins glas geschaut habe...